Mit dem Rücken zur Wand: Geheimagenten unter uns
Wo würdest Du sitzen?
Es gibt zwei Sorten Menschen auf dieser Welt: Die einen setzen sich einfach hin. Die anderen wählen ihren Platz mit der taktischen Präzision eines Schachgroßmeisters. Wer schon einmal mit einem solchen Menschen essen war, weiß: Ein einfacher Stuhl ist keine Sitzgelegenheit – es ist eine strategische Entscheidung. Und wehe, der Rücken zeigt zum Raum.
Willkommen in der Welt der „Geheimagenten“. So nennen wir sie liebevoll – jene Menschen, die sich nur dann wohlfühlen, wenn sie den gesamten Gastraum im Blick haben. Fluchtwege, Tür, Servicekraft, hereinspazierende Gäste – alles unter Kontrolle. James Bond hätte seine Freude an ihnen.
„Ich fühl mich einfach wohler, wenn ich sehe, was passiert“, sagen sie. Oder auch: „Ich setz mich lieber auf die Bank.“ Klingt harmlos – ist aber Teil einer jahrtausendealten Urinstinkttaktik: Wenn schon ein Löwe aus dem Gebüsch springt, dann will man ihn wenigstens kommen sehen.
Aber dann gibt es noch eine andere Gruppe. Eine kleine, feine, beinahe mystische Spezies. Und die sitzen – man staune – fast immer mit dem Rücken zum Lokal. Absichtlich! Nein, nicht weil sie weniger paranoid wären oder keinen Fluchtweg brauchen. Sondern weil sie einen anderen Fokus haben: ihr Gegenüber. Das sind die Vollblut-Netzwerker. die in der Wolle gefärbten Beziehungsjunkies, die Freunde des ungestörten Gesprächs.
Netzwerker wissen: Aufmerksamkeit ist die wahre Währung. Und wer sich entscheidet, mit jemandem zu reden, tut das mit voller Präsenz. Kein Rumgucken, kein „Ah, da kommt der Franz, den muss ich kurz grüßen“, kein ständiges „wer ist noch so im Raum?“. Wenn ein Netzwerker mit dir spricht, dann spricht er mit dir. Punkt.
Das ist kein Zufall, sondern Haltung. Es ist die bewusste Entscheidung, sich nicht ablenken zu lassen, sondern ganz im Hier und Jetzt zu sein – bei der Person gegenüber, beim Gespräch, beim Austausch. Netzwerker sagen damit nonverbal: „Du bist mir gerade wichtiger als alles, was sonst noch im Raum passiert.“
Während die Geheimagenten also immer bereit sind, im Notfall über Tisch und Bank zu flüchten, lehnt sich der Netzwerker entspannt zurück – im Wissen, dass ehrliches Interesse tatsächlich entwaffnend ist - und sie ihre 9mm ohnedies nicht dabei haben.
Und vielleicht, ganz vielleicht, sollten wir beim nächsten Restaurantbesuch einfach mal mutig sein. Uns auf die Bank setzen. Den Rücken zum Raum. Die Augen auf den Menschen gegenüber. Und wer weiß – vielleicht entdecken wir dabei etwas, das noch viel spannender ist als der Blick zur Tür: echtes Zuhören.