Ein häufiger Denkfehler bei der Vertreterregel

“Sag wo steht in den Regeln, wie oft man sich eigentlich von einer Person vertreten lassen darf?”

Diese Frage wurde mir kürzlich gestellt. Meine Erfahrung ist aber, dass wenn die Frage kommt “wo steht in den Regeln”, dann hat man oft vergessen, die Sinnhaftigkeit seines Tuns zu hinterfragen. Die Vertreterregel - also, dass man sich vertreten lässt, wenn man persönlich abwesend ist - ist eines der unerkannten und zugleich mächtigsten Netzwerk-Werkzeuge bei BNI.

Verstehe den Sinn, dann brauchst Du keine Regel

Der Sinn hinter der Vertreterregel hat, weil sie so mächtig ist, mehrere Seiten:

Für das Mitglied ist die Vertreterregel eine großartige Chance, sein Netzwerk zu erweitern (Hier dazu mehr). Zugleich steigert man durch gute Vertreter seine Glaubwürdigkeit im Chapter, denn man präsentiert ja die Stärke seines persönlichen Netzwerks.

Für das Chapter ist die Vertreterregel eine Chance, trotz abwesender Mitglieder spannende Meetings mit Top-TeilnehmerInnen zu haben und ein aktives Netzwerkumfeld zu pflegen. Lies hier mehr über die Strategie starker Chapter

Für die anderen (anwesenden) Mitglieder ist eine klug gelebte Vertreterregelung eine Chance, neue Kontakte zu pflegen, nämlich die zu den VertreterInnen.

Die unsinnige Umsetzung der Vertreterregel

Wer den Sinn der Vertreterregel nicht verstanden hat, der greift manchmal zu unsinnigen Maßnahmen, der versucht oft, die Vertreterregel mit dem minimalen Aufwand umzusetzen - weil eben der Vorteil und ihre Wirkung nicht automatisch verstanden werden.

Unqualifizierte Vertreter

Ich greife mir heute noch immer an den Kopf: es war kurz nach der Gründung meines zweiten Chapters als ein Mitglied meinte, er könne jetzt nicht mehr so oft kommen und würde eine Mitarbeiterin entsenden. Ich dachte mir nicht viel dabei, bis ich hörte, wen er schickte: die Reinigungsfachkraft seines Büros. Sicher eine großartige Frau, wir konnten sie nur nicht kennen lernen, denn sie sprach kein Deutsch. Brauchte sie nicht, sie hatte keinen Kundenkontakt und in ihrer Reinigungstruppe war die Arbeitssprache eben nicht Deutsch. Selten hat ein gesamtes Chapter vor Augen geführt bekommen, was “BNI Offizielle” als “Brown Bag Phenomenon” bezeichnen.

Das Brown Bag Phenomenon ist die unsinnige Umgehung einer im Kern sinnvollen Regel: in den meisten Staaten der U.S. ist Alkoholkonsum auf offener Straße verboten. Daher packen die Leute die Schnapsflaschen in braune Tüten, dann ist es kein “öffentlicher” Alkoholkonsum. Die Regel des Alkoholverbots ist nicht völlig blöd, die Umgehung dagegen natürlich völlig daneben. Merke: wenn Du eine Regel einführst, musst Du auch bedenken, wie Du sie überwachst, sonst wird man unglaubwürdig.

Der Chapterspringer

Ich finde es großartig, wenn Mitglieder chapter-übergreifend aktiv werden. Wir sind in meinen Augen eine Unternehmercommunity und nicht eine Sammlung von Chaptern. Und klar, bevor man völlig unvertreten ist, kann man sich auch mal von einem Mitglied eines anderen Chapters vertreten lassen. Doch auch dann gelten die Fragen von unten. Denn wer es sich total einfach macht, und diesen einen Menschen einlädt, der ohnedies jedes zweite Mal als Gast eines anderen Chapters da ist, der verschafft seinem Team nur geringen Mehrwert und zeigt den anderen auch lediglich, dass sein persönliches Netzwerk sehr schwach ist, weil er selbst ja keine Vertreter aufstellt.

Der angestellte (Dauer-)Vertreter

Für viele UnternehmerInnen naheliegend: wenn ich nicht kann, schicke ich einen Angestellten, weil der MUSS kommen, ich zahle ja die Zeit. Da nutzt man die Chance nicht, sein Netzwerk zu pflegen, schlimmer aber: ich nenne das die “Anleitung zum Fremdgehen”.

Inspirationen für professionelles Netzwerken

Netzwerken mit Methode

Das Hörbuch von Stefan Gössler

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33 plus 1 Kniffe, mit denen man sein Netzwerk noch stärker macht. Gepackt in 135 Audio-Minuten. Mit eigenem Arbeitsbuch für BNI Mitglieder.

BNI Meetings dienen der strategischen Beziehungspflege. Wir gehen nicht hin, um jetzt akut zu kaufen oder akut zu verkaufen, sondern um Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, die mich als UnternehmerIn langfristig stärken. Es geht nicht um kurzfristige Profite. Eine andere “strategische” Beziehung, im Sinne von “kurzfristig nicht auf Profitabilität ausgerichtet” ist die zum Ehepartner. Ja, ich weiß, der Vergleich hinkt an vielen Stellen, doch an wenigstens einem passt er ganz genau: die Pflege meiner Beziehung delegiere ich nicht.

Ich delegiere das romantische Dinner mit meiner Frau nicht an meinen besten Freund. Ich schicke meine Frau nicht mit meinem Nachbarn und auch nicht mit meinem Angestellten auf Urlaub. Ich mache das auch nicht, wenn mein Partner ein Mann ist. Alleine die Idee ist ja absurd.

Es ist absurd, die Pflege strategischer Beziehungen an einen Mitarbeiter zu delegieren. Auch von den Mitgliedern höre ich dann oft "wir haben ja die UnternehmerIn XY aufgenommen, nicht ihren Vertriebsassistenten”. Wer das macht, erlebt im besten Fall eine rasche “Abkühlung” von Beziehungen, zeigt man den Menschen doch, dass die Beziehungspflege zu ihnen bestenfalls zweitrangig ist.

Um das richtig einzuordnen: natürlich kann man sich mal von einem Mitarbeiter vertreten lassen, das aber langfristig als Umsetzung der Vertreterregel zu betreiben, ist schlicht unklug.

Wie oft ist oft?

Wie oft soll man sich daher jetzt vertreten lassen dürfen? Bitte erwarte von mir hier jetzt keine Zahl, sondern nutze diese Fragen für Deine Entscheidung:

  • Welcher Vertreter in meinem Netzwerk würde meine Glaubwürdigkeit im Chapter steigern, Kraft seiner Persönlichkeit, seines Unternehmens, seines Amtes?

  • Welcher Geschäftspartner könnte mich vertreten, von dem das Chapter einen echten Vorteil hat?

  • Zu wem in meinem Netzwerk will ich mittels der Vertreterregel meine Beziehung vertiefen?

  • Wie kann ich parallel zu meiner (vertretenen) Abwesenheit für gute Beziehungen im Chapter sorgen?

  • Wie kann ich Mitarbeiter zu guten Notfall-Vertretern entwickeln, die meine Glaubwürdigkeit im Chapter steigern UND den Mitgliedern Mehrwert bringen?

Überlegungen für das Chapter

Manchmal entwickelt sich eine Vertretung zu einer Art “Dauervertretung”, manchmal wird das auch angekündigt. Meiner Erfahrung nach gibt es ein paar Punkte, die sich dem Chapter bzw. dem Mitgliederausschuss klar sein sollten, um den Wert der Mitgliedschaft für alle hoch zu halten:

  • Ist allen Mitgliedern klar, wer als Mitglied der Ansprechpartner für 1-2-1 ist? Tatsächlich ist das ein häufiger Fallstrick für den Wert der Mitgliedschaft in solchen Fällen.

  • Kann sicher gestellt werden, dass Menschen, die regelmäßig am Meeting teilnehmen, auch mittels Trainings, BNI Business Builder und Co qualifiziert werden? Dass sie z.B. auch die Einladungen bekommen?

  • Hätte das Chapter den vorgeschlagenen “Dauervertreter” auch als Mitglied überhaupt aufgenommen?

  • Hat der vorgeschlagene Vertreter bzw. das Mitglied auf das gewechselt werden soll die Qualifikationen, die dem Fachgebiet entsprechen? Wenn ein Elektrounternehmer als solcher Mitglied ist, hilft es nicht, wenn er seinen auf Alarmanlagen spezialisierten Mitarbeiter entsendet.

  • Ist bewusst, dass es grundsätzlich keinen Anspruch auf “Dauervertretung” gibt, sondern tatsächlich ein Personenwechsel nötig wird, wenn sich jemand häufig (2+ Mal pro Monat) vertreten lässt? Das ist inkl. Antrag, um DSGVO-konform zu sein aber auch, um korrekte Daten über das Mitglied zu haben.

Die Vertreterregelung ist eines der mächtigsten Werkzeuge, um Kontakte aus seinem Netzwerk näher an sich zu ziehen und die Beziehung zu intensivieren. Es ist verständlich, dass Mitglieder das nicht automatisch am Radar haben und die Vertreterregelung mit dem minimalen Aufwand umsetzen wollen. Hier braucht es Training und Führung, um für das Team das beste Ergebnis zu gewährleisten.


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